Stimmen zum Buch
Seit einem Vierteljahrhundert schreibt Jürgen Nendza eine auf genauester Wahrnehmung und konziser historischer Reflexion fundierte Dichtung, die bislang noch nicht die öffentliche Wertschätzung erhalten hat, die diesem exzeptionellen Autor eigentlich zukommt. Viele seiner Gedichte, die Naturstoff und Geschichtsstoff in poetischer Engführung verknüpfen, sind ›aus Wasser und Luft‹ gewebt, wie es im Gedicht
Kontaktflächen heißt. Am Anfang von picknick steht ein Zyklus über die Geschichte der Insel Norderney, die eine lange Tradition als Badeort für jüdische Urlauber hatte, die bis 1933 auch der grassierende Antisemitismus nicht beschädigen konnte. Im
Kopfalbum dem dritten von insgesamt fünf Zyklen, beschwört der Autor die politische Geschichte seiner Kindheitslandschaft, des Ruhrgebiets. Diese sprachsensiblen und formal strengen Gedichte sind vorbildliche Lektionen in poetischer Genauigkeit.
Lyrikempfehlungen 2018, Deutschen Akademie für Sprache u. Dichtung, Lyrik Kabinett, Hause für Poesie
Dichtung von Welt.
WDR 5
Das Chiffrensystem, das sich Jürgen Nendza hier erarbeitet, ist stark gesättigt mit Anschauung von Realien, von konkreter Wirklichkeit, von Naturstoffen. Dabei verbindet sich die genaue Beobachtung von Details mit einer Reflexion auf Zeitgeschichte, zum Beispiel mit jüdischen Biographien im Ruhrgebiet oder auf Nordseeinseln. Man hat es hier mit einem großartigen, geschichtsarchäologischen Weg durch Zeitgeschichte und durch die Geschichte der Sprache zu tun.
Deutschlandfunk. Büchermarkt November 2017
In einem Rückblick auf seine Kindheit auf den Ostfriesischen Inseln hat der Philosoph Karl Jaspers einmal das Meer als selbstverständlichen Grund des Lebens und als »anschauliche Gegenwart des Unendlichen« beschrieben. /.../ Auch für den Lyriker Jürgen Nendza sind das Meer und die von ihm geliebten Nordseeinseln Lebenselixier und poetischer Motivgrund. Viele seiner Gedichte üben sich in mikroskopischer Beobachtung der Naturdinge. Nendza zitiert die emphatische Liebeserklärung von Jaspers, die auch als poetologische Formel für sein eigenes Schreiben zu lesen ist (»nirgends das Feste und Ganze«), das die evozierten Einzelheiten stets in einen poetischen Schwebezustand bringt.
Volltext Nr. 3/2017
Seine poetische Technik deutet der Autor wie nebenbei im titelgebenden Zyklus „picknick“ an, das eine arkadische Szenerie mit immer neuen Überblendungen verwandelt: „ein Bild, / das Verbindungen / verschiebt, Denken / und Gras.“ Im dritten von insgesamt fünf Zyklen des Bandes, dem „Kopfalbum“, beschwört Nendza die politische Geschichte seiner Kindheitslandschaft, des Ruhrgebiets, indem er Erinnertes mit der sinnlichen Erfahrung der Landschaft und jüdischen Biografien kombiniert: „EIN FINGERZEIG, die Schornsteine, / der Kohlenstaub. Wo ist die Wolkenmilch/ da oben, wo kommt sie plötzlich her, / die Bergmannstochter, Schickse, / draußen vor der Tür: Kartoffelbeet, / Kaninchenfell, ein Silo Angst, / sag Bunker.“ /.../ Jürgen Nendzas Lyrik ist eine auf genauester Wahrnehmung und historischer Reflexion fundierte Dichtung. /.../ Die Textur seiner Gedichte ist aus „feinsten Fäden“ gewebt, in denen die Zeit stillsteht und die Dinge in eine beunruhigende Schwebe geraten.
Michael Braun, Der Tagesspiegel
Jürgen Nendza balanciert mit seinen ausgefeilten Texten über Wortbrücken, die beglücken und zugleich verstören. Immer wieder hat man den Eindruck eines experimentierenden Filmers, der seine Kamera einfach mal mitlaufen läßt und später einen surrealen Extrakt ausfiltert - sinnlich, durchleuchtet und zugleich dunkel. Das Banale wird zur Hieroglyphe, der große Gedanke berührt durch seine Schlichtheit. Diese Gedichte haben Tiefgang, Substanz und Tempo.
Aachener Zeitung / Aachener Nachrichten
»Kleinigkeiten«, heißt es in einem seiner neuen Gedichte, »picken wir auf im Mittagslicht«. Diese Kleinigkeiten sind bei Nendza immer Bestandteile eines geschichtlichen Tableaus. Seine Gedichte konstituieren »Augenblicksflächen« und erweisen sich zugleich als Geschichtsspeicher. /.../ Dieser Dichter weiß um die Instabilität und Vorläufigkeit jeder sprachlichen Bezeichnung. Das Gedicht, so hat er einmal formuliert, ist ein »Ort des Übergangs, an dem sich die Dinge der Gewalt des identifizierenden Denkens entziehen«. So versucht der Autor konsequent, die »unerledigten Dinge« aus ihrer Einkapselung in einen festgelegten Sinn zu lösen: durch ständige Verschiebungen von Bildfeldern und Bedeutungen.
Signaturen-Magazin, Oktober 2017
Jürgen Nendza veröffentlicht seit drei Jahrzehnten Gedichte, Hörspiele und Erzählungen. In seinem aktuellen Band
picknick schaltet sich Nendza in historische oder gegenwärige Szenerien ein und lauscht ihnen jene Wörter und Bilder ab, die, je öfter wir sie hören, umso merkwürdiger und unfassbarer werden: das Fliegenpapier, das von der Decke hängt; der Bus, der zum Hafen fährt; die Batterie in der Zimmeruhr. Dinge, in die sich die Aufmerksamkeit des Dichters eingräbt – und die die Geräusche menschlichen Alltags produzieren. Nendzas Verse, in ihrer beherrschten Melancholie, verwandeln diesen Alltag auf funkelnde Art und Weise in Poesie.
MDR – beste Gedichtbände des Jahres 2017
Hier ist nicht nur eine Wahrnehmungsmaschine am Werk, hier ist vor allem eine Ausdrucksmaschine am Werk, die in erstaunlichsten Dichten und in unsperrigem Duktus innovative, ungewöhnliche Wortkombinationen zu eigentlich sattsam bekannten Sinneseindrücken auswirft. Nendza ist eine singuläre Stimme, eine hochoriginelle zudem. Mit
picknick hat er einen phänomenal guten Gedichtband geschrieben.
Fixpoetry
Jürgen Nendza ist ein Dichter
der Wahrnehmung. Hier ranken
Himbeeren in die Zeitung, und
ein simples Fliegenpapier wird
zum »Lockstoff« für die Sprache.
Diese Sprache leuchtet.
Stuttgarter Zeitung, Nico Bleutge, Literaturtipp
Luft und Licht spielen eine wichtige Rolle in diesen luftigen, leichten Gedichten. Sie wirken zart und zerbrechlich. Sie sind leuchtend hell, selbst dann, wenn sie Dunkles berühren und auf leisen Sohlen daherkommen. ... Dabei »knistert« es mächtig in Jürgen Nendzas Gedichten, die eine »produktive Unruhe« schaffen. Diese produktive Unruhe überträgt sich auf den Leser, wenn er den mit scheinbar leichter Hand geschriebenen, rhythmisch und poetisch geglückten Auseinandersetzungen des Autors mit der Welt folgt. In dieser poetischen Welt verbinden sich Innen und Außen, Gegenwärtiges und Vergangenes, Mensch und Natur auf faszinierende Weise immer wieder neu, immer wieder anders.
Kulturport | Marion Hinz
Bei Jürgen Nendza ist alles in Bewegung und alles in Ruhe, alles in seinem Element. /.../ Er nimmt, wie es sich poetisch gehört, das Unscheinbare auf /.../ und setzt sich sein Bild aus Wahrnehmungsfetzen zusammen. Sie sammeln »das Unsichere ein, / während die Welt / am Weiher sich dreht / um ein fernes Gedächtnis / und du sie hineinbindest / mit einem Zopfgummi in dein Haar.« Und anderswo ist »dieser kleine Schritt von der Amöbe / bis zu Einstein« angedeutet. Eine lange Strecke für Gedichte.
Am Erker (Juni 2018)
Mit einer großen Leichtigkeit, Beweglichkeit und Geschmeidigkeit kommen die Gedichte und Verse Jürgen Nendzas daher. In seinen Gedichten vollzieht sich ein »Denken, das seine Fühler / austreckt«, Sinnlichkeit und Sensationen sind keine Gegensätze zu Abstraktion und Reflexion, sondern fallen wie selbstverständlich im poetischen Bild zusammen: Jedes Gedicht wird dadurch selbst zu einem »Bild, / das Verbindungen / verschiebt, Denken / und Gras.« Gleichzeitig, und das ist die große Kunst Nendzas, eignet den Texten eine große, aber unangestrengte Ernsthaftigkeit.
TRIMARAN 2019, Lyrikmagazin, Christoph Wenzel