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»Was ich weiß, geht mich nichts an« |
Eich, der stille Anarchist
»Vielleicht ist Eich in Kürze passé«, hat der Dichter 1971 in einem seiner letzten Interviews prognostiziert. Die Dynamik eines geschichtsvergessenen Literaturbetriebs, der im 21. Jahrhundert nur noch im Modus der Hyperventilierung agiert, schien den pessimistischen Befund bislang zu bestätigen. Dabei wurde übersehen, dass die Gedichte, Maulwürfe und Formeln Günter Eichs reichlich Sprengstoff enthalten, die auch für die ästhetische Sabotage der allzu selbstverliebten literarischen Gegenwart noch tauglich sind. »Was ich weiß, geht mich nichts an«: Eich, der stille Anarchist, hebt unsere literarische Ordnung aus den Angeln. Davon sprechen die Essays dieses Buches.
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Vor fünfzig Jahren, am 20. Dezember 1972, ist der Dichter und Hörspielautor Günter Eich in einem Salzburger Krankenhaus gestorben. In der Nachkriegszeit galt er als der wichtigste Exponent einer Literatur des Kahlschlags, mit seinen wirkungsmächtigen Hörspielen (Träume) wurde er zu einem prominenten deutschen Erfolgsautor der fünfziger Jahre.
»Ich habe mich«, so Eich lakonisch, »vom Ernst immer mehr zum Blödsinn entwickelt, ich finde also das Nichtvernünftige in der Welt so bestimmend, dass es auch in irgendeiner Weise zum Ausdruck kommen muss.«
Das vorliegende Buch demonstriert die fortdauernde Aktualität seiner poetischen Provokationen.
Vorwort von Michael Braun (Auszüge)
»Jedes Gedicht ist zu lang«: Mit dieser paradoxen Sentenz hat Günter Eich einst die Arbeitsvoraussetzung moderner Lyriker:innen untergraben. Wird hier doch unterstellt, dass jedes Gedicht unaufhebbar im defizienten Modus verharrt, da immer noch Kürzungen anzubringen sind. Auf diese fundamentale Herausforderung der Gattung hat die lyrische Zunft bis heute nicht reagiert. Günter Eich wird als kanonischer Autor archiviert, ohne sich seinen wie beiläufig vorgetragenen Provokationen zu stellen. Der Dichter wird als ein Fall für die Literaturgeschichte abgehakt – dabei wäre aus seiner radikalisierten Selbstkritik sehr viel zu lernen, auch um die fortdauernde Mitteilungs- und Metaphernfreude im Lyrikbetrieb zu dämpfen. Gerade im Spätwerk Eichs finden sich zahlreiche ästhetische Sabotagen an wohlfeiler Poetik, etwa in den wagemutigen Formeln: »Was ich weiß, geht mich nichts an«. Vertrackte paradoxale Konstruktionen dieser Art, die auf die Relativierung der eigenen Person und der eigenen Positionierungen zielen, waren Eichs Lebenselixier.
In den 1990er Jahren hatte sich die Eich-Debatte auf eine politische Verfehlung im Frühjahr 1933 fokussiert. Um seine Geldsorgen loszuwerden und sein im Überschwang erworbenes Häuschen in Poberow an der Ostsee zu finanzieren, hatte Eich das Arrangement mit den neuen Machthabern gesucht. Im Mai 1933, als in Deutschland gerade die Bücher brannten, stellte er einen Aufnahmeantrag in die NSDAP, der freilich nie bearbeitet wurde. Seine erstaunliche Karriere als Funkautor im NS-Staat – Eich verfasste von 1933 bis 1940 rund 150 Hörspiele und Funkarbeiten und fand dafür auch dankbare Abnehmer – sorgte dann nach 1993 für eine erbitterte Debatte über Eichs Verhältnis zum Nationalsozialismus. Einige Kommentatoren glaubten, den Dichter denunzieren zu dürfen, da er »stramm gestanden« habe »für Goebbels, Geld und Urlaub«.
Wie groß die Distanz Eichs zum Nationalsozialismus tatsächlich war, wird aber erst eine Ausgabe seiner Briefe klären können, die seit dem Streit zwischen Suhrkamp und Axel Vieregg, dem mittlerweile verstorbenen Co-Herausgeber der Gesammelten Werke, auf Eis liegt. Nach langen Vorarbeiten erschienen 2021 erste Teilausgaben seiner Briefe, der Briefwechsel mit seinem Schweizer Dichterfreund Rainer Brambach und mit Ingeborg Bachmann.
Fest steht: Alle nach 1945 entstandenen Gedichte Eichs bezeugen eine entschlossene »Gegnerschaft« und »Herausforderung« der Macht, von der Eich in seiner Büchnerpreis-Rede von 1959 sprach: »Wenn unsere Arbeit nicht als Kritik verstanden werden kann, als Gegnerschaft und Widerstand, als unbequeme Frage und Herausforderung der Macht, dann schreiben wir umsonst, dann sind wir positiv und schmücken das Schlachthaus mit Geranien.« Aus der Erkenntnis seiner politischen Fehlbarkeit hatte Eich die Konsequenz einer totalen Verweigerung gezogen. Die scharfe Kritik des Literaturwissenschaftlers Jürgen Joachimsthaler, Eich sei zugunsten seiner individuellen Exkulpation jeder konkreten Benennung von eigener und kollektiver »Schuld« ausgewichen und habe sich auf den wohlfeilen »Standpunkt Ohnmacht« zurückgezogen, verkennt die fundamental machtkritische Poetik des späten Eich. Zwar tönten in seinem Gedichtband Botschaften des Regens (1955) noch einmal die romantischen Verschmelzungswünsche einer geschichtsfernen Naturpoesie nach. Aber seit dem Band Zu den Akten (1964) lieferte Eich nur noch heillose Existenzbefunde, lakonisch gefügte Botschaften der Vergeblichkeit.
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Das vorliegende Buch verdankt sich einer Initiative von Günter Eich-Enthusiasten, für die die Begegnung mit seinen Gedichten und Hörspielen lebensprägend war. Kurt Drawert erinnert sich an die befremdlichen Reaktionen der DDR-Behörden, als er 1986/1987 sein von Eich inspiriertes Debütbuch Zweite Inventur auf den Weg bringen wollte. Michael A. Braun (Wiesbaden) untersucht die Hörspiele Eichs und deren anarchistischen Aufstand gegen »die gesamte Ordnung der Schöpfung«. Jürgen Nendza rekonstruiert Eichs ästhetische Wende Mitte der 50er-Jahre, die der Dichter in einer intensiven Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit vollzogen hat. Michael C. Braun (Heidelberg) widmet sich Eichs Vorliebe für poetische Topographien, die zum Kraftfeld seiner Dichtung werden. Nancy Hünger verbindet das leidenschaftliche Plädoyer für Eichs Maulwürfe mit einer Parteinahme für die Narren auf verlorenem Posten, mit denen sich Eich in seiner Dankrede zum Büchnerpreis 1959 identifiziert hatte. Àxel Sanjosé folgt Eichs Konzentration auf die entziffernde »Vogelschrift« und Sabeths kurzen Schatten. Roland Berbig, der Autor der ersten umfassenden Eich-Biografie, resümiert abschließend im Gespräch mit dem Herausgeber die Recherchen und Erkenntnisse auf dem langen Weg zur Edition des Briefwechsels zwischen Günter Eich und seinem Dichterfreund Rainer Brambach. Das Buch beschließen die Erinnerungen von Mirjam Eich an ihren Vater Günter Eich und ihre Mutter Ilse Aichinger. Im Fokus steht dabei ein 16 mm-Porträtfilm über Günter Eich, den das Schweizer Fotografen-Ehepaar Michael und Luzzi Wolgensinger im letzten Lebensjahr des Dichters produziert hat.
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Heidelberg, 2022
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