»Komm, tritt ein und als eine Andere heraus«
Anmerkungen zu Uta Ackermanns Gedichtband
von Jayne-Ann Igel
Engel in der Literatur haben eine lange Tradition, begründet in alttestamentlichen wie mythologischen Texten aus dem gleichen Zeitraum, die literarisch unterschiedlichen Gattungen zuzurechnen sind. Sie stellen im religiösen Kontext Mittler oder Boten dar, als Überbringer von Heilsbotschaften wie auch als Verkünder drohenden Unheils, als Mahner. In der Mythologie wie in der biblischen Tradition verkörpern sie den Einbruch einer transzendentalen Erfahrung in die Lebenswelt des Einzelnen. Neuzeitliche Literatur und Kunst nahmen die Tradition auf und verwandelten sie zugleich, eröffneten einen profanen Zugang zu dieser Vorstellungswelt, einen individualisierten. Und trotz der Dissonanz zum religiösen Ursprung eignet diesen verweltlichten, gefallenen und gestürzten Engeln, wie sie in literarischen Texten zu finden sind, nach wie vor ein besonderer Charakter, eine Spur von Spiritualität wie existentieller Gewichtigkeit, die uns herauszuheben vermögen aus der Banalität des Alltäglichen. Eines der bekanntesten Gedichte von Else Lasker-Schüler beispielsweise, mit dem Titel Gebet, in dem das Dichter-Ich den großen Flügel eines Engels »gebrochen schwer am Schulterblatt« trägt, kündet davon.
In Rafael Albertis 1940 veröffentlichem Gedichtband Von den Engeln heißt es in diesem Sinne an einer Stelle: »der Engel stürzte in mich«. Engel sind so gleichsam als Dimension des Seins erfahrbar. Ilse Aichinger schreibt in ihrer 1949 entstandenen Erzählung Engel in der Nacht: »Nicht wir sind es, die sie erträumen, die Engel träumen uns.«
Das Phänomen der Engel verortet sich auch bei Uta Ackermanns Texten vor allem in einem selbst. Sie stehen gelegentlich für ein Du, das angesprochen wird und das in der Perspektive gleichsam auch ein Enthobenes darstellt. Mal als Du, mal als Über-Ich, selbander erfahrbar, das den Blick, die Aufmerksamkeit auf ein Geschehen, einen Zustand lenkt. Das dichterische Ich erscheint als Sprechende wie Angesprochene, als Reflektierende. »Er hat sich breit gemacht in dir«, heißt es in EngelsAustreibung. Persönlichkeits- und Wirklichkeitsaspekte werden hier evident und steter Wandlung unterworfen, von Text zu Text. Dramaturgisch erfährt der Prozess in der Abfolge der Gedichte zum Ende hin eine sublime Steigerung, indem immer dringlicher existentielle Dinge wie Tod, Leben, das sich Verlieren in den Fokus geraten. Eine Melancholie schwingt bei allem mit. Die Engel fungieren als Widerpart, aber auch als Dialogpartner, Begleiter, Verursacher von Ungemach. Es sind durchweg säkularisierte Wesen, Engel der Bedürfnisse und Sorgen, der Selbstverständigung, mit einiger Bodenhaftung versehen. Und in dieser Weise verschmelzen sie mit Aspekten des dichterischen Ich. Als Engel im Auf und Ab irdischer Existenz kommen mit jedem Text neue Facetten ins Spiel. Es geht dabei nicht zuletzt um Fragen von Abstoßung und Anziehung (EngelsAustreibung), um die Sinnhaftigkeit des Daseins wie des eigenen Tuns, die Fragilität der Existenz: »Das Gute, das unentwegt behauptet wird, nichts als ein Wort« (HutEngel). Hier eröffnen sich Räume, auch Abgründe, und die Engel erscheinen als Zeitgenossen, deren Herkunft jedoch im Verborgenen bleibt.
Das Gros der Texte im vorliegenden Band ist in dichter Folge in den Jahren 2016/17 entstanden. Begonnen hatte der Arbeitsprozess jedoch schon ein Jahr zuvor, als Uta Ackermann unter dem Titel Engelallergie phasenweise einen Text pro Tag schrieb, was von ihr so gar nicht geplant gewesen war, aber der Stoff entwickelte eine Dynamik, der sie sich nicht verschließen mochte. In diesen Texten ging es um eine Art Gegenengel bzw. das Töten von Engeln. Was sich allerdings mit dem Neuansatz wesentlich ändern sollte. Von Anfang an bildeten sich dabei ein bestimmter Ton und Rhythmus heraus, von denen auch die hier abgedruckten Gedichte geprägt sind. Klang spielt für die Autorin, die bis in die jüngste Vergangenheit vor allem mit Hörspielen und Features an die Öffentlichkeit getreten ist, im Schreibprozess eine wichtige Rolle, gesprochene Sprache begreift sie hierbei als Medium. Darüber hinaus lässt sie sich von musikalischen Einflüssen inspirieren. Literarische Einfälle kommen ihr im Gehen, Unterwegssein, in der Bewegung.
Uta Ackermann, die ihre Kindheit und Jugend in Leipzig verbracht hat, begann schon früh zu schreiben. Anregungen dazu erhielt sie beispielsweise von der Deutschlehrerin in der Grundschule, zeitweise wirkte sie in einem Zirkel Junger Poeten mit. Im Alter von 14/15 Jahren setzte sie noch einmal neu im Schreiben an, nun weniger spielerisch. Uta Ackermann genoss in ihrer Jugend eine musikalische Ausbildung, die sie sehr prägen sollte, spielte Cello, war Mitglied des Gewandhaus-Kinderchores. Nach dem Abitur folgten Studien der Kulturwissenschaft, Musikwissenschaft und Germanistik in Leipzig, Leningrad und Paris, vor und nach der Wende. Anregungen erhielt sie hier vor allem über die Beschäftigung mit den Schriften Blochs, dem Studium der Ästhetik. Sie promovierte zur Ästhetik des Fragments in der Dichtung René Chars.
Im Frühsommer des Jahres 1989 legte Uta Ackermann mit dem Poesiealbum 261 ihre erste eigenständige Veröffentlichung vor. Danach folgten zahlreiche Arbeiten für Rundfunk und Bühne.
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